Die Geschichte der Tinte und ihre Herstellung

Welchen Entwicklungsgang „Tinte“ im Laufe der Zeit genommen hat, wie seine Geschichte infolge seiner Zugehörigkeit zum Schriftwesen ein Stück der Kulturgeschichte darstellt – das mag der folgende flüchtige Rückblick in die Vergangenheit in aller Kürze andeuten.

Ebenso wie die höhere Kultur ohne die Schreibkunst nicht denkbar ist, die Ihre Errungenschaften aufzeichnet, so dass sie vor dem Vergessen bewahrt bleiben, der Mitwelt mitgeteilt und der Nachwelt erhalten und überliefert werden können, - so kann auch die Schreibkunst selbst nicht hinreichend wirksam ohne geeignete Werkzeuge ausgeübt werden.

Die Felsen und Steine, in welche die alten Germanen ihre Runen eingruben, die Ziegelsteine und Tongefäße der Assyrer mit ihren Keilschriften, die schweren Erzplatten der Ägypter und Israeliten, die Holz- und Wachstafeln der Phönizier und Griechen, die Blätter und Rinden der Inder, in welche diese Völker ihre Schriftzeichen oft unter Aufwendung langwieriger Arbeit einmeißelten, schnitten, brannten und ritzten, waren nur in geringem Maße geeignet, die Kultur zu verbreiten und dadurch zu fördern.

Als man aber lernte, Beschreibstoffe aus sehr dünnem und leichtem Material, wie Pergament und Papyrus, zu bereiten und mit einem flüssigen Schreibmittel zu beschreiben, so dass die mühelos in kurzer Zeit hergestellten Schriftstücke wenig Raum einnahmen, sehr geringes Gewicht hatten und daher zu Hunderten und Tausenden sicher und bequem aufbewahrt, sowie leicht und schnell transportiert werden konnten, da war durch derartige technische Verbesserungen auch ein Kulturfortschritt von der höchsten Bedeutung erreicht. Mit dieser Zeit begann das klassische Altertum.
Man hat daher mit Recht den Tintenverbrauch eines Volkes als Gradmesser seiner Kultur bezeichnet und an Stelle der von Justus v. Liebig Seife die Tinte gesetzt: Ein Volk, das wenig schreibt, steht auf einer niederen Stufe der Bildung.

In den alten Kulturländern China und Ägypten fand man die ersten Anzeichen der Verwendung von Tinte, deren Hauptbestandteil in beiden Ländern Ruß (Rußhaltige Tinte) war. Der Erfinder der chinesischen Tinte oder Tusche soll Tien- Tschen, der unter der Regierung des Kaisers Huangti (2697-2597 v. Chr.) lebte, gewesen sein. Anfangs trug man sie mit Hilfe eines Bambusstabes auf die zu beschreibende Seide auf, später mit dem Pinsel auf das inzwischen erfundene Papier.

In Ägypten hat man Tintenschrift aus Ruß auf Papyrusrollen gefunden, die trotz ihres Alters von mehreren tausend Jahren noch ihre Schwärze und vollen Glanz behalten hat, auf Mumiengewändern aber entdeckte man auch Schriften, die silber- und Platinhaltig waren.

Kleines Rezeptbuch der historischen Tinten
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Eine Anreibung von Ruß und Gummi und Wasser verwendete man in Griechenland unter dem Namen (griechich) Schreibschwärze, in Italien als atramentum scriptorium neben der aus dem Safte des Tintenfisches bereiteten Sepia-Tinte.

Aber auch farbige Tinten waren im Gebrauch, besonders rote aus Minium für Überschriften und Anfangsbuchstaben und ferner die heilige Purpur- Tinte sacrum encaustum, die man aus dem Safte zweier Schneckenarten oder Conchylien, der Purpura oder Pelagia und dem Buccinum oder Murer, gewann. Diese Tinte, deren Farbstoff wahrscheinlich Dibromindigo war, durfte nur von den byzantinischen Kaisern benutzt werden, allen anderen war sie bei Todesstrafe verboten.

Eine sehr wichtige Rolle spielte auch im Altertum die Goldschrift, und die Chrysographie oder Goldschreibekunst wurde zu einem ausgebreiteten Kunsthandwerk, das selbst von oströmischen Kaisern aus Liebhaberei eifrig ausgeübt wurde. Man schrieb auf Purpurpergament entweder die ganze Schrift mit Gold- Tinte, wie die heiligen Schriften der Juden für Ptolemäus Philadelphus, oder nur die Überschrift und den übrigen Text mit Silber- Tinte, wie z.B. Ulfilas´ Bibelübersetzung in dem berühmten Codex argenteus.

Dass auch eine Art Eisengallus- Tinte im Altertum schon bekannt war, geht aus einer Mitteilung des Philo von Byzanz aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Über eine geheime Schrift hervor, die darin bestand, dass man mit Galläpfel- Auflösung schrieb, trocknen ließ und dann die Schrift mit der Lösung eines eisenhaltigen Kupfersalzes benetzte.

Die für gewöhnlich angewendete Schwarze Ruß- Tinte aber haftete nicht fest auf Pergament und Papyrus, man konnte sie leicht abwaschen und abkratzen und machte sich das bei dem hohen Preise derselben zunutze, indem man das Schriftstück nach Entfernung der ersten Schrift wiederum beschrieb. Solche Handschriften nennt man bekanntlich Palimpsete, sie bilden oft die wertvollsten Stücke unserer Archive.

Leider aber sind viele derselben im Laufe der Zeit verblichen und vermodert, schwer leserlich geworden oder schon ganz zerfallen; das gleich gilt auch von vielen einfach beschriebenen Handschriften. Da es sich hier aber oft um Dokumente von höchstem Geschichtswert handelt, die unersetzlich sind, so erhellt hieraus schon die Wichtigkeit, welche der Dauerhaftigkeit der für Urkunden zu verwendenden Schreibmaterialien beizumessen ist.

Der Umstand, dass die Ruß- Tinte nicht fest am Beschreibstoff haftete, leicht von selbst abbröckelte und bequem wieder entfernt werden konnte, war wohl neben ihrer mangelhaften Schreibfähigkeit der Hauptgrund, weshalb sie nach und nach der sich immer mehr einbürgernden Eisengallus- Tinte weichen musste. Schon seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. wurde sie nach Angabe von Graux auf Pergament nur selten noch gebraucht und seit dem 15. Jahrhundert gewöhnlich nicht mehr benutzt.

Die Eisengallus- Tinte dagegen kam im Mittelalter immer mehr in Aufnahme, wobei die Einführung des Papiers an Stelle von Pergament und Papyrus sehr mitwirkte. Man begann bald Vorschriften zu ihrer Herstellung auszuarbeiten; gute Tinte war ein sehr gesuchter Artikel, um dessen Herstellung sich ganz besonders die Mönche , zu deren Beschäftigung ja auch vornehmlich schriftliche Arbeiten zählten, verdient machten.

So finden wir in der „Schedula diversarum artium“ des Presbyter Theophilus im 12. Jahrhundert, ganz besonders aber in dem ums Jahr 1500 zu Tegernsee gesammelten „Liber illuministarium“ eine Menge Vorschriften zur Bereitung von Tinten aller Art.

Im 16. und 17. Jahrhundert waren es besonders Italiener und zwar meist Ärzte, denen man Aufzeichnungen hierüber verdankt.

Unter ihnen find in erster Linie Cardanus alerius, Pedemontanus, Porta und Caneparius zu nennen, von denen der letztere ein dickes Buch „De atramentis cuiuscunque generis“ (Über Tinten aller Art) geschrieben hat.

Ferner brachte der große englische Naturforscher Robert Boyle mancherlei Aufklärung über die sich in den Tinten abspielenden chemischen Reaktionen, wie sich auch Otto Tachenius und Lemery. Vater und Sohn, mit dem Chemismus der Tinte befasst haben.

Eine eingehende systematische Untersuchung über Schreib- Tinten veröffentlichte sodann 1763 der Engländer William Lewis, dem der Franzose Ribaucourt 1792 mit einer gleich ausführlichen Arbeit folgte.

Die Entdeckung der Gallus- Säure durch Scheele und des Tannins durch Deneur ermöglichten wichtige Aufklärungen über die chemische Natur des in der Gallus- Tinte sich bildenden gerb- und gallussauren  Eisens, die wir einer Reihe deutscher, englischer und französischer Naturforscher, sowie dem großen schwedischen Chemiker Berzelius verdanken.

1855 begann August Leonardi mit der Fabrikation der Alizarin- Tinte, als des ersten Repräsentanten der modernen Eisengallus- Tinte, und zehn Jahre später erschienen die Anilin- oder Teerfarben- Tinten auf dem Markte als eine der Errungenschaften, welche man der mächtigen Entwicklung der Teerfarben- Industrie zu verdanken hat.

Aber auch der Dauerhaftigkeit der amtlichen Schriftstücke und der Möglichkeit Ihrer Fälschung wurde im 19. Jahrhundert von maßgebenden Seiten Beachtung geschenkt.

So ließ die französische Regierung in der ersten Hälfte desselben umfangreiche Untersuchungen anstellen, um dadurch in den Besitz von Tinte und Papier zu gelangen, welche sowohl der Vergänglichkeit durch das Alter, als auch den oft vorkommenden Fälschungsversuchen gegenüber möglichste Sicherheit bieten sollten, und gegen Ende desselben Jahrhunderts hat auch die preußische Regierung Schritte getan, um den vorschnellen Verfall der Urkunden nach Möglichkeit zu verhindern.

Sie wurde hierzu durch Anregungen aus fachmännischen Kreisen veranlasst, und den Hauptanteil hieran hat die Firma August Leonardi. In mehreren Eingaben an den Reichskanzler und andere zuständige Reichs- und preußische Behörden hat dieselbe im Interesse der Dauerhaftigkeit der Dokumente um Einführung amtlicher Grundsätze für die Tinten- Prüfung ersucht, durch Ihre Chemiker eingehende Untersuchungen über die Chemie der Tinten nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen ausführen und auf Grund derselben fachgemäße Methoden zur Prüfung der Tinten auf ihren dokumentarischen Wert veröffentlichen lassen.

Zu diesem Zeitpunkt war die moderne Tinte geboren. Weiterentwicklungen der Schreib- und insbesondere Drucktechnologie veranlassten die Tintenhersteller mit den Jahren eine hochtechnisierte Flüssigkeit zu entwickeln, deren Weiterentwicklung bis heute anhält. Tinte wird heute an vielen Orten hergestellt. Die wahre Tintenentwicklung bleibt jedoch von wenigen Firmen betrieben. Wie in allen Industriebereichen ist die Entwicklung mitunter der kostenintensivste Geschäftsbereich.

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